Gott Spielen – Corona Edition

Hat A das Recht, negative Folgen von B abzuwenden und auf C zu übertragen? Kann irgendwer von sich behaupten, er könne die Entfaltung der Umstände, die wir alle jeden Tag erleben, gerechter verteilen, als das Schicksal selbst? Aus meiner Sicht ist dies ein Ausdruck der höchsten Arroganz, die überhaupt möglich ist.

Jeder Mensch kommt auf diese Welt, mit einer einzigartigen Kombination aus Fähigkeiten, Eigenschaften, familiärem und gesellschaftlichem Umfeld, und einem eigenen freien Willen. Diese Verteilung ist nicht gerecht, oder zumindest erschliesst sich ihre Gerechtigkeit uns selten auf den ersten Blick. Manche sind schön, andere klug, andere fleissig, andere tapfer. Manche haben liebende und unterstützende Eltern, andere kommen in einer gut funktionierenden, sicheren Gesellschaft zur Welt. Manche sind gross, andere liebenswert, wiederum andere haben eine robuste Gesundheit oder besonders gute Augen. In diesem Stil könnte man jetzt noch viele weitere Beispiele anfügen.

Manche haben viele der vorhin genannten, generell als positiv gewerteten Attribute, und andere haben weniger. Aber, wer kann schon sagen, welche Attribute denn tatsächlich positiv sind? Es ist die Adaption an die Umstände, die ein Attribut positiv macht. Gibt es genug zu essen, so ist es vielleicht vorteilhaft gross und stark zu sein. Herrscht aber Hungersnot, ist man vielleicht lieber klein und effizient. Kommt eine Pandemie, so ist ein gutes Immunsystem essenziell. Kommt hingegen keine, sind andere Eigenschaften wichtiger.

Noch viel wichtiger als die Attribute, mit denen man zur Welt kommt, ist allerdings, was man daraus macht. Jemand, der mit einer Herzschwäche zur Welt kommt und deshalb rigoros auf seine Gesundheit achtet, kann durchaus gesünder enden als jemand, der gute Ausgangsbedingungen hat, aber sich gehen lässt. Jemand, der nicht so schnell lernt, aber mit einem eisernen Willen immer wieder probiert, kann am Ende viel erfolgreicher werden als jemand, der intelligent aber faul ist. Wer in widrigen Umständen geboren ist, kann durch die schwereren Umstände stark und reif werden, während der, der immer alles hatte, träge und eingebildet bleibt.

Jeder Mensch kommt mit einer einzigartigen Kombination aus Stärken und Schwächen zur Welt. Wichtiger allerdings, als wie und wo man zur Welt kommt, ist was man daraus macht.

Der Westen hat bereits vor langer Zeit erkannt, dass niemand beurteilen kann, wer in der Gesamtheit seiner ihm vom Schicksal zugedachten Situation bevorteilt oder benachteiligt ist. Genau so wenig kann irgendjemand beurteilen, wie jemand anderes seine Zeit am besten einsetzen soll. Ist es nützlicher viel zu arbeiten, ein Studium zu machen, viele Bücher zu lesen, Sport zu treiben, sich einen Kalorienvorrat anzufuttern, oder die Nachrichten und alle Klatsch und Tratsch Sendungen zu schauen? Es kommt darauf an… Je nach Ziel und Situation hat alles seinen Nutzen.

Aus diesem Grund entwickelte sich im Westen die Philosophie des Individualismus. Jeder kommt mit einzigartigen Gegebenheiten zur Welt, und jeder soll die gleichen Chancen haben, seine Stärken optimal einzusetzen, um sein Glück zu verfolgen. Darum muss jeder die Freiheit haben, alles zu tun was er will, solange er dadurch nicht die gleiche Freiheit anderer einschränkt. Zugegeben, die Details der Ausgestaltung dieses Prinzips sind schwer festzulegen. Wie viel Schall, Geruch, oder giftige Stoffe darf jemand freisetzen, bevor er dadurch die gleichen Rechte eines anderen beeinträchtigt? Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt das zentrale Prinzip allerdings erhalten und gerecht.

Keiner kann sagen, was der beste Weg durchs Leben ist. Darum muss jeder frei sein, alles zu tun was er will, solange er dadurch niemandem schadet. Nur so kann jeder seine eigenen Stärken optimal einsetzen um sein Glück zu verfolgen.

Denn es gibt nur diese zwei Alternativen: Entweder kann jeder seinen Weg durch das Leben selbst wählen, und muss dann allerdings auch die Konsequenzen seiner Wahl tragen, oder gewisse können für andere entscheiden, welchen Weg sie im Leben zu gehen und welche Konsequenzen sie folglich zu tragen haben. Von diesen beiden Alternativen kann allerdings nur die Erste als gerecht bezeichnet werden. Denn jeder Mensch, egal wie nobel und aufgeklärt, ist von dem instinktiven Trieb geleitet, seine Umstände mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel zu verbessern. Und hätte der edelste unter uns allen die Möglichkeit, das Handeln aller zu definieren, auch er könnte der Versuchung nicht widerstehen, ihr Handeln zumindest teilweise auf sein eigenes Wohlbefinden abzustimmen. Niemand kann total unvoreingenommen das Beste für andere entscheiden, sogar wenn er wüsste, was für sie tatsächlich das Beste wäre.

Und natürlich kann man nicht einmal das. Es ist schon schwer genug herauszufinden, was das Beste für einem selbst ist, aber niemand kann dies für einen anderen wissen. Menschen haben nicht nur fundamental unterschiedliche Eigenschaften, sondern auch fundamental unterschiedliche Bedürfnisse und Sehnsüchte. Und ja, man kann hier die Maslow-Pyramide anführen, und dies ist auch ein berechtigter Einwand. Allerdings gibt es viele Menschen, die sich für einen unsicheren Lebensweg entscheiden, für Abenteuer, Gefahr, und Herausforderung, und nicht nur für eine möglichst sichere Abdeckung ihrer Maslow-Pyramide. Musiker, Action-Junkies, Entdecker, Priester, Hochleistungssportler, Forscher, Erfinder, Kriminelle und Polizisten, sie alle beweisen, dass der Mensch keinesfalls immer den sichersten Weg durchs Leben wählt.

Kein Mensch kann wissen was ein anderer will oder braucht, und kein Mensch kann unvoreingenommen urteilen oder entscheiden. Somit kann auch kein Mensch die Vor- und Nachteile des Schicksals gerecht auf andere verteilen.

Gegeben diese Tatsache ist es essenziell zu realisieren, dass sich daran auch nichts ändert, wenn viele Menschen zusammenkommen. Eine demokratische Abstimmung ist genau so wenig geeignet, Segen und Fluch unter den Menschen zu verteilen wie ein einzelner König. Der Effekt wird bloss über viele verteilt und darum weniger ausgeprägt. Anstatt dass einer von allen profitiert, profitieren halt nun 51% von 49%. Der Mechanismus bleibt allerdings der Gleiche. Und auch, wenn es bei jeder Frage eine andere Zusammensetzung der Mehrheit gibt, wird es trotzdem Gewinner und Verlierer geben, die nicht vom Schicksal, sondern von Menschenhand gewählt wurden. Mit Gerechtigkeit hat dies nichts zu tun.

Die berechtigte Funktion der Demokratie besteht ausschliesslich darin, innerhalb einer selbstdefinierten, auf Freiwilligkeit basierenden Gruppe die Regeln zu definieren, nach denen alle zu spielen haben. Diese Regeln müssen zwingendermassen für alle gleich sein, sonst ist das Spiel per Definition ungerecht. Man kann also darüber abstimmen, wieviel Schall, Gestank, und Schadstoffe jemand ausstossen darf, bevor er dadurch anderen einen Schaden zufügt. Man kann darüber abstimmen, ob man nackt in der Öffentlichkeit rumlaufen darf und was die Kriterien für Verbrechen, Gewalt, und Betrug sind.

Natürlich könnte man nun auch sagen, dass die Regeln ja auch für alle gleich sind, wenn man die AHV, die Schule, und die Krankenkasse für alle gleich macht. Diese Aussage stimmt natürlich, allerdings könnte man selbiges auch für die Frisur, die Hobbies und die erlaubten Mahlzeiten sagen. Wir müssen uns hier in Erinnerung rufen, dass die Regeln nur dazu da sind zu verhindern, dass A durch sein Handeln B einen Schaden zufügt. Dass die Regeln für alle gleich sein müssen, ist dabei nur eine Bedingung der Gerechtigkeit, nicht aber eine Rechtfertigung für jede erdenkliche Regel.

Die berechtigte Funktion der Demokratie ist ausschliesslich die Definition der Regeln des Zusammenlebens innerhalb einer auf Freiwilligkeit basierenden Gruppe. Die Regeln sollen verhindern, dass A durch sein Handeln B einen Schaden zufügt, und ausschliesslich dies ist ihre Existenzberechtigung.

Vor diesem Hintergrund können wir nun endlich die Ethik der Corona Massnahmen betrachten. Darf eine Gesellschaft also um einige ihrer Mitglieder vor Krankheit zu schützen anderen massive finanzielle und persönliche Schäden zufügen?

Die Antwort auf diese Frage hängt fundamental von der Frage ab, ob ein Mensch für die Viren und Bakterien, die seinen Körper als Brutkasten benutzen, verantwortlich ist oder nicht. Sind Krankheiten ein Naturphänomen, wie Blitz, Flut, Sturm, und Erdbeben, oder sind die Viren, die ich produziere und ausatme ebenso ein Produkt meines Körpers wie meine Handlungen, und ich somit für ihre Verbreitung verantwortlich?

Erstens muss man zwischen bewusstem und unbewusstem verbreiten von Krankheiten unterscheiden. Vor den Pestpogromen 1348 zum Beispiel wurde den Juden vorgeworfen, dass sie die Brunnen vergiften und so die Pest verbreiten. Dies ist der Vorwurf einer bewussten Handlung, die das Ziel hat, andere durch Krankheit zu schädigen. In Zeiten des Corona wird jedoch bereits ein Besuch im Kino kriminalisiert, da man vielleicht unbewusst über seine Atemluft Viren verbreitet, die dann über mehrere Zwischenpersonen jemanden krank machen könnten.

Zweitens ist festzuhalten, dass wir das unbewusste verbreiten von Krankheiten in unserer Gesellschaft grundsätzlich nicht kriminalisieren. Jedes Jahr zieht eine Grippewelle durch unsere Gesellschaft, und jedes Jahr reichen somit Menschen unbewusst Viren weiter, an denen bis zu 0.2% der Bevölkerung sterben können. Kriege ich irgendwoher Fieberbläschen, Warzen, oder Fusspilz, so kann ich deswegen niemanden verklagen, und es werden auch keine Kunden- oder Besucherlisten geführt, um diese Erreger nachverfolgen zu können. Sogar wenn ich mich bei einem One-Night-Stand mit HIV infiziere kann ich die andere Person nicht verklagen, ausser vielleicht sie versuchte bewusst, die Krankheit zu verbreiten. Diverse weitere Beispiele könnten angefügt werden.

Ob die aktuellen Massnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus ethisch gerechtfertigt sind hängt davon ab, ob wir Menschen für Viren, die sie unbewusst durch normale Alltagstätigkeiten verbreiten, verantwortlich machen können oder nicht. Im Falle anderer Krankheitserreger handhaben wir dies zumindest nicht so.

Wir sehen also, dass wir Menschen nicht grundsätzlich für das unbewusste Verbreiten von Viren verantwortlich machen, auch wenn Dritten dadurch ein Schaden entsteht. Somit behandeln wir als Gesellschaft Krankheiten eher als Naturphänomene und nicht als Schäden, die A durch seine Handlungen für B verursacht. Gegeben diese Tatsache sind die aktuellen Massnahmen zur Einschränkung des Corona ethisch nicht vertretbar.

Das fundamentale Prinzip der Freiheit und des Individualismus besagt, dass jeder tun kann was er will, solange er dadurch keinem anderen einen Schaden verursacht. Jeder ist dann aber auch für die Folgen seines Handelns verantwortlich. Hat der eine durch einen gesunden und aktiven Lebenswandel sein Immunsystem gestärkt, und der andere das seine durch schlechtes Verhalten geschwächt, wieso soll dann der Erste nicht mehr ins Kino dürfen? Und auch Menschen, die ohne Selbstverschulden mit einer Immunschwäche zur Welt kamen, haben deshalb nicht das Recht, die Freiheit anderer einzuschränken. Jeder hat von Gott eine einzigartige Kombination von Stärken und Schwächen, Vor- und Nachteilen erhalten, und jeder ist selbst dafür verantwortlich, das Beste daraus zu machen. Könnte jeder andere dazu verpflichten, seine eigenen Schwächen ausgleichen zu müssen, würde es sofort zu einem “Wettrennen nach unten” kommen, in dem Faulheit und Opfermentalität belohnt und Fleiss und Durchhaltewille bestraft werden. Keine Gesellschaft kann auf dieser Basis langfristig bestehen.

 

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